…sogar mit Embargo!

Kollege Harald Ehren schreibt bei #dek21 über die Angewohnheit von Public-Relations-Menschen, Journalisten Dinge „off the records“ wissen zu lassen. Als reine Hintergrundinformation, nicht zitierfähig. Oder: zitierfähig – aber erst ab einem gewissen Datum. Ich musste bei der Lektüre dieser Zeilen schmunzeln, weil ich selbst so viele Jahre lang auf Journalistenseite mit diesem Mechanismus zu tun hatte und dabei den merkwürdigsten Spielarten begegnet bin. Hier die fünf lustigsten – und wie sie bisher (manchmal) funktioniert haben:

Achtung! Embargo! (Foto: Knipsermann, photocase)

1. Die Überrumpelungsmethode

Sehr beliebt und wirkungsvoll, probieren Sie es mal aus. Erzählen Sie einem Journalisten im Rahmen eines Hintergrundgespräches, am besten während der Nahrungsaufnahme, etwas, was Sie auf keinen Fall im entsprechenden Medium lesen möchten. Wichtig: Das Ganze muss ohne Vorwarnung kommen, bloß nicht vorher herauszufinden versuchen, ob er’s schon weiß. Also: Fix die unliebsame Hintergrundinformation platziert, etwa das erwartete Jahresdefizit. Oder dass der CEO bald abdankt. Dann schieben Sie im gleichen Atemzug nach: „Aber das jetzt unter uns und off the records. Ich verlass‘ mich auf Sie.“ Ergebnis: Der Journalist vertraut Ihnen, ist Ihnen dankbar – und schreibt nichts über den genannten Fakt.

2. Die Mitleidsmasche

Ebenfalls eine sehr effektive Methode, um Journalisten zur Einhaltung Ihrer Sperrfrist zu motivieren. Lassen Sie keine Gelegenheit aus, darüber zu jammern, wie andere Redakteure Sie mit wüsten Angriffen überziehen, falls irgend ein Medium vor dem Ablauf der von Ihnen verordneten Sperrfrist berichtet. Am besten bringen Sie drohenden Jobverlust Ihrerseits ins Spiel. Ihr Schicksal hängt an der Einhaltung der Sperrfrist. Vor dem Spiegel üben! Wichtig: Leidenden Blick nicht vergessen und am besten unausgeschlafen zum Hintergrundgespräch erscheinen!

3. Die Illoyalitätsnummer

Primär für Agenturmitarbeiter geeignet und extrem amüsant. Was ich in den Jahren als Journalist an negativen Aussagen von Agenturmenschen über deren eigene Kunden gehört habe – keine noch so wohlgenährte Kuh hätte ausreichend Haut dafür. Vereinzelt verfolgen aber auch Pressesprecher selbst die Taktik. Sie funktioniert ganz einfach: keine Gelegenheit auslassen, das eigene Unternehmen und vor allem dessen Produkte und Dienstleistungen schlechtzureden. Das stimmt Journalisten gnädig – vielleicht.

4. Die Drohgebärde

Was in der Tierwelt Knurren, Fauchen und Aufplustern, ein weit aufgerissenes Maul und eine kerzengerade Körperhaltung bewirken, das klappt in der Medienbranche mit dem Non Disclosure Agreement. Informationen werden nicht nur mit Sperrfrist weitergegeben. Nein, das kann ja jeder. Sie setzen ganz gelassen noch eins drauf! Der Journalist muss zuvor schriftlich bestätigen, dass er auf der Stelle in Schwefel und Asche versinkt, wenn er vorher auch nur ein Sterbenswörtchen öffentlich werden lässt. Gern erinnere ich mich an eine viele Jahre zurückliegende – so wirklich erlebte – Szene: Ich hatte mich geziert, ein solches – ursprünglich auf oder unter meinem Teller platziertes! – NDA zu unterschreiben, in dem ich mich verpflichtete, „eine Vertragsstrafe zu bezahlen, die M. nach billigem Ermessen festlegt“, falls ich zu früh berichte. Am Ende überzeugte mich ein Agenturmitarbeiter während der Fahrt in einer frei über dem Abgrund schwebenden Gondel. Mit dem Fenster des Gondelausstiegs als Unterlage unterschrieb ich das Dokument. Im letzten Moment… vor der Produktpräsentation.

5. Die Duzmaschine

Wem die vier Methoden (also eins bis vier) zu kompliziert sind: Einfach jeden Journalisten duzen – klappt garantiert. Das schafft nämlich brutal viel Nähe. Letztere ist natürlich ein idealer Nährboden für Embargo, Sperrfrist, NDA.

6. Vorsicht! Warum 1) bis 5) nicht mehr klappen

Sie ahnen schon, da war Ironie im Spiel; so wirklich guten Gewissens empfehlen möchte ich diese Methoden keinem Kollegen. Was wahr ist: Ich habe all die beschriebenen Vorgehensweisen ausführlichst während meinen früheren journalistischen Tätigkeiten am eigenen Leib erfahren. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie heute… nicht mehr so gut funktionieren.

Schuld ist mal wieder dieses Internet! Man kann sich einfach nicht mehr darauf verlassen, dass etwas off the records bleibt. Es ist nicht mehr sicher, dass gegenüber eigentlich gar nicht so vertrauten Journalisten pseudo-vertraulich Ausgesprochenes auch vertraulich bleibt. Bevor ich mich auf die Verschwiegenheit meines Gegenübers verlassen kann oder darauf, dass der unverschämte oder rechtswidrige Inhalt meines Non Disclosure Agreement nicht einfach öffentlich im Web disclosed wird, muss ich richtig viel Vertrauen aufbauen – ich meine richtig viel. Wobei ich dann ja eigentlich kein NDA mehr benötige.

Und: Nicht einmal das Unausgesprochene ist mehr sicher vor diesem Internet! Die Augen geöffnet hat mir ein Erlebnis auf dem Deutschen Multimedia-Kongress, dem DMMK 2009. Dort formulierte ein Verlagsmanager Schmähkritik an einem Suchkonzern – beinahe, denn er verkniff sich das entscheidende Wort und sagte entschlossen, er werde das Wort jetzt nicht sagen. Zehn Sekunden später stand das Wort im Internet – korrekt verschlagwortet per Twitter. Glückwunsch!

Dek 21 – die Thesen
und dort: Harald Ehren fordert „Embargo für Medienmagerquark“
NDA – der Geheimhaltungsvertrag (Wikipedia)